Henriette Grahnert
Manchmal erscheinen die Gemälde von Henriette Grahnert sehr abstrakt. Manchmal jedoch auch nicht. Gekonnt jongliert die Künstlerin mit den unterschiedlichsten Malereitraditionen: Ihre Bilder zitieren klassische Abstraktion und konkrete Malerei, minimalistische Traditionen und Bad Painting, amerikanische Farbfeldmalerei und Pop Art. Gestische Pinsel¬schwünge und informelle Kleckse treffen auf figurative Elemente, harte Kanten auf filigrane Farbverläufe, dünn lasierte auf pastos gespachtelte Farbflächen. Mit hintersinnigem Humor verbindet Henriette Grahnert diese vermeintlichen Antagonismen zu einem individuellen Bilderkosmos. Dabei steht jedoch keine der zitierten Stilrichtungen und Malweisen tatsächlich für das, was sie vorgibt zu sein. Viel eher handelt es sich um einen klugen Umgang mit Zitaten und Bezugnahmen sowie um einen differenzierten Diskurs über die Malerei selbst. Oder eben um „die gekonnte Reorganisation von Dingen, die wir längst kennen.“ Die Freude an Verweisen und Anspielungen findet sich auch auf sprachlicher Ebene: Henriette Grahnerts Werktitel transportieren einen spezifischen Humor, der – mit subtiler Ironie und weit entfernt von billigem Klamauk oder böser Polemik – weitere Rezeptionsebenen offeriert. Bedeutungen verschieben sich, und selbst (vermeintlich) abstrakte Kompositionen erhalten eine narrative Komponente, die sich mit Alltagserfahrungen verknüpfen lässt: Aus einer formatfüllenden, verworrenen Konstruktion farbiger Verbindungslinien und dem Werktitel Ja schön, aber das beantwortet nicht die Frage (2008) wird ein Sinnbild für die bisweilen komplizierten Wege menschlicher Kommunikation. Ein strahlend grüner Punkt unter unscheinbaren Kollegen erscheint durch den Titel Wer mag schon Streber!? (2008) als Wichtigtuer, der sich in den (Bild-)Mittelpunkt zu spielen versucht. Eine filigrane braune Wabenstruktur und
expressive, mit dem Pinselstiel aufgebrachte Kratzer werden durch die doppeldeutige Bezeichnung Alte Schachtel (2011) zur Streichholzbox mit charakteristischen Spuren auf der Reibfläche. Titel und Werk führen bei Henriette Grahnert eine emanzipierte und sich gegenseitig bereichernde Beziehung. Sie sind erfrischend gleichberechtigt, denn weder beschreibt der Titel das Werk, noch illustriert das Werk den Titel. Beide haben eine eigenständige Persönlichkeit und sind zugleich doch auch ein Dream Team: Hat der Betrachter sie einmal gemeinsam wahrgenommen, wird er sie gedanklich nicht wieder trennen können. Dieser taktisch versierte, stets leicht und lapidar wirkende Umgang mit Bild und Sprache erinnert bisweilen an den Humor früher Werke Sigmar Polkes. Mit feinsinniger Ironie und zugleich sehr ernsthaft nahm auch er
Alltagsbeobachtungen ebenso aufs Korn wie die Kunst selbst. Wie eine Hommage erscheint da Henriette Grahnerts Bild In die Ecke zurück!??? (2009), indem sie sich auf Polkes legendäres Gemälde Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! aus dem Jahr 1969 bezieht. Nach 40 Jahren scheint Polkes schwarze Ecke ein rebellisches Eigenleben entwickelt zu haben und ist ins Bild gekippt. Mit dem rüden Befehl „Ab in die Ecke, in die Ecke zurück!“ wird sie jedoch auf ihren angestammten Platz zurück¬geschickt. Die Ordnung ist wieder hergestellt, die höheren Wesen (hoffentlich) besänftigt. Ihren „Befehl“ setzt Henriette Grahnert als handgeschriebenen Kommentar direkt auf die Leinwand, und auch zahlreiche andere Werke arbeiten mit diesen in die Malerei eingebauten „Textbausteinen“. Vielfach werden dabei visuelle
Ausdrucksformen und textuelle Phänomene der Werbung zitiert: Die plakativ erscheinende Frage Is enough good enough? (2011), in grauer Farbwolke auf eine buntkarierte Leinwand geschrieben, erinnert an einen Werbeslogan, der zwar zunächst eingängig klingt, dann aber doch weitgehend inhaltsfrei bleibt. My inner beauty may speak to you (2010) gibt eine gängige Phrase über die Schönheit innerer Werte wieder. Jedoch besteht eine offenkundige Dissonanz zwischen der „Botschaft“ des Bildes, dem Apell nach einem Blick hinter die schöne Fassade, und den gewählten Mitteln, die eine plakative Werbeästhetik zitieren. Die explizite Aufforderung an das Gegen¬über, hinter das schöne Antlitz zu schauen, wird ad absurdum geführt, da das Gemälde ausschließlich dekorative Oberfläche bietet. Auch das Bild Mostly Middle (2011) zitiert mit seiner Reduktion auf grafische Elemente eine nostalgisch wirkende Werbeästhetik. Persiflierend und zugleich sehr charmant zeigt das Bild in einem Art Organigramm: Es überwiegt – im Leben wie in der Kunst – das Mittelmaß.
Interview vom 11.10.1999, vgl.: www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,46151,00.html [Stand: 10.05.2016]
Courtesy by Galerie Kleindienst